Eine Wertmarke des Gasthofs „Zur Stadt London“ in Wien (1822-1854)

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Foto: Erich Heisler

Beitrag von Erich Heisler und Bernd Thier

Wertmarken ohne Ortsangabe exakt zu bestimmen ist schon schwierig, aber Marken ohne Text oder weitere eindeutige Hinweise lassen sich nur dann eindeutig einer Ausgabestelle zuweisen, wenn entsprechende, möglichst zeitgenössische Hinweise, vorliegen. Dies kann aber manchmal auch auf eine zunächst falsche Fährte führen. Nachfolgend soll eine Marke vorgestellt werden, bei der diese möglicherweise geschehen ist und die daher eine ganz besondere Hintergrundgeschichte offenbart:

VS: Abb. nach rechts schreitender einschwänziger Löwe, mit den vorderpranmken ein auf der spitze stehendes Viereck haltend
RS: 6.
| (Abb. mit Blüte verzierter Zierstrich)
rund / Kupfer / ø 30,2 mm / Gewicht 10,1 g / Wendeprägung
Markentyp: Wertmarke

Hersteller: unbekannt
Datierung: Herstellung zwischen 1822-1829, Verwendung bis 1854?  (s.u.)

Anmerkung: Wertzahl 6 = 6 Kreuzer

Dies Marke wurde bereits 1868 von Josef Neumann (Beschreibung der bekanntesten Kupfer-Münzen, Band V., Prag 1868, Nr. 28985), zusammen mit zwei weiteren Werten (zu 3 bzw. 30 Kreuzer), beschrieben und dem Gasthaus „Seitzer Hof“ in Wien zugewiesen:

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Man könnte und müsste Josef Neumann sehr dankbar für diesen Hinweis sein, aber stimmt er wirklich ? Immerhin handelt es sich um eine frühe Beschreibung. Die Marke muss daher aus der Zeit vor 1868 stammen.

ABER: Diese Marke wurde, ebenfalls mit den beiden weiteren Werten (zu 3 bzw. 30 Kreuzer), bereits 1829  von Joseph Appel (Repertorium zur Münzkunde des Mittelalters und der neueren Zeit, 4.Band / 2. Abteilung, Wien 1829, Nr. 3898) beschrieben :

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Joseph Appel weist die Marke nun dem  Gasthof „Zur Stadt London“, ebenfalls in Wien am Alten Fleischmarkt zu. Sie muss daher sogar schon vor 1829 geprägt worden sein.

Welche Angabe ist nun korrekt? Man mag doch eher der älteren Quelle glauben. Aber keiner der beiden Autoren hat eine Begründung für die Abbildung eine Löwen auf den Marken.

Glücklicherweise ermöglichen heutzutage Internetrecherchen in – wiederum sehr alten – Quellen nach weiteren Hinweisen zu suchen. Zieht man die Ergebnisse aus zahlreichen Berichten zusammen, ergibt sich als historischer Hintergrund der Marken folgende  Geschichte:

Franz Mack der Ältere (geboren 1730 in Wien, verstorben 1807 in Kalksburg), ab 1791 Franz Edler von Mack genannt, war kaiserlich-königlicher Hofjuwelier und Geheimer Rat. Er stammte aus einfachen Verhältnissen, arbeitete sich jedoch bis zum Hof-Kammerjuwelier (1778) empor. Im Jahr 1773 erwarb er das Haus „Zum weißen Ochsen“ am alten Fleischmarkt 28 (alte Konskriptionsnummer 728) . In diesem Haus befand sich auch der Einkehrgasthof „Zum weißen Ochsen“.

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„Wiener Zeitung“ vom 24. April 1818

Der Sohn von Franz Edler von Mack, Valentin Edler von Mack, übernahme den Gasthof und nannte ihn am 11. März 1822 in Gasthof „Zur Stadt London“ um (nun neue Konskriptionsnummer 684). Dieser florierte offenbar, denn bereit 1824 wurde er erweitert.

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„Wiener Zeitung“ vom 10. Juli 1824

Die vorgestellten Marken sollen nun, laut  Joseph Appel (1829) aus diesem Gasthof „Zur Stadt London“ stammen. Appel lebt in Wien, er könnte die Marken, die erst ab 1822 entstanden sein können, vor Ort gesehen und erworben haben. Seine Angabe dürften daher korrekt sein!

Der Gasthof „Zur Stadt London“ wurde dann unter einem neuen Besitzer 1854 in Hotel „Zur Stadt London“ umbenannt („Morgen-Post“ vom 31. August 1854). Im September 1854 kam es zum Konkurs und zur Versteigerung des Besitzes von Ritter Valentin Edler von Mack. („Wiener Zeitung“ vom 18. September 1855). Dies bedeutet, die Marken dürften maximal bis 1854 im Gasthof „Zur Stadt London“ verwendet worden sein.

Es bleibt die Frage nach der Abbildung des Löwen auf der Marke. Hier zu liefert der Auszug aus dem Adelsbrief der Edlen von Mack von 1791 einen entscheiedenden Hinweis:

Und zu mehrerer Gezeignuß dieser unserer Gnade und Erhebung Seiner in den Ritterstand, haben Wir ihn Franz Edlen von Mack nachfolgendes ritterliches Wappen und Kleinod gnädigst verliehen und solches in das künftige zu führen erlaubet, als nämlich einen aufrechten oblongen, unten rund in eine Spitze zusammenlaufenden gold- und blau quadrierten Schild, in dessen ersten und vierten Quartier ein, auf einer natürlichen Mauer, mit drey Zinnen, stehender ausgebreiteter gekrönter schwarzer Adler, in der zweyten und dritten Feidung ein aufrecht für sich schreitender goldener Löwe, zwischen den vorgeworfenen beyden Pranken einen rautenförmigen mit Gold eingefaßten Diamant haltend zu sehen ist; auf dem Schilde ruhen zwey gegeneinander gewandte goldgekrönte Turniershelme, mit offenen Rosten und goldenen Halsketten, beyde Helme sind mit einer goldenen, der vordere schwarz, der hintere blau vermischt zu beyden Seiten herabhangenden Decke bekleidet; aus der Krone des ersteren steiget der vorbeschriebene Adler, linkssehend, aus jener des letzteren aber der eben vorbeschriebene Löwe mit den Diamaut in den Pranken, gegen die Rechte gekehrt — herfür; allerraassen solch ritterliches Wappen und Kleinod in der Mitte dieses unseres Königlich und erzherzoglichen Diploms gemahlen und mit Farben eigentlich entworfen ist.“

Der Löwe stammt daher aus dem Wappen der Edlen von der Mack, so dass auch dieses Rätsel gelöst werden konnte.

Aber es gilt noch den „Fehler“ oder den Wiederspruch aufzulösen, warum Joseph Neumann die Marken 1868 dem „Seitzerhof“ zugewiesen hat. Beschäftigt man sich mit der Geschichte dieses Hauses bzw. der Parzelle, auf dem er stand, durch die Jahrhunderte, findet sich ein interesantes Detail:  „1853 kam der Hof des Zuckerindustriellen Ritter von Mack in den Besitz der Töchter Rosina, Ignazia (verehelichte Fürstin Wrede) und Amalia.“  Bereits 1838 war der neue Seitzerhof vom Architekten Friedrich Strache für den Zuckerindustriellen Ritter von Mack errichtet worfen Der neue große Prachtbau enthielt einen Bazar mit verschiedenen Geschäften und ein Gasthaus, das sich „Basar“ nannte und in dem der Pächter Mayerhofer 28 verschiedene Biersorten ausschenkte. Daher gehörte der „Seitzerhof“ in der Zeit, als Josef Neumann in den 1860er Jahren seinen Katalog schrieb, ebenfalls der Familie der Edlen von Mack. Neumann, sehr bewandert in der Heraldik, kannt vermutlich das Wappen und so kam es möglicherweise zu der „Fehlzuweisung“. Es könnte aber auch sein, dass die alten Marken nach dem Konkurs und dem Verkauf des Gasthofs „Zur Stadt London“ nach 1854 im „Bazar“ im „Seitzerhof“ weiter verwendet wurden.

Dann wären beide Zuweisungen korrekt! Aber dies muss Spekulation bleiben.

Achtung: Hier eingefügte Links können nicht ständig überprüft werden, daher keine dauerhafte Garantie für deren Gültigkeit!


22. Dezember 2016

Schlagworte:

Ein Kommentar zu “Eine Wertmarke des Gasthofs „Zur Stadt London“ in Wien (1822-1854)”

  1. KaB sagt:

    Sehr schöne Recherche und eine spannende Geschichte die dabei raus kam. Herzlichen Dank fürs Teilen.
    KaB

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