Borgeln: Wertmarken der Borgelerlinde und Kleingeldersatzmarken von der Bäckerei Fritz Steinhoff

Beitrag von Bernd Thier

(Nordrein-Westfalen) WMF-Nr. 10248, 10249, 10250, 10251, 10252, 10253 (Ergänzung zu Menzel Nr. 4174.1)

Der Arbeitskreis Geschichte und Heimatpflege Borgeln hat einen Beitrag über vermutlich Borgeln in Westfalen zugewiesene Marken erstellt mit der Bitte, hierzu weitere Hinweise zu liefern. Dieser Bitte kommen wir natürlich gerne nach.

Beitrag: Wertmarken Borgeler Linde

Die Marken sind seit längerem bekannt und werden seit Jahren regelmäßig auf Ebay zum Kauf angeboten. Peter Menzel (digitale Ausgabe 2014) führt das 10 Pfennig-Stück in Messing unter der Nr. 4174.1 als „Borgeler Linde, Stadt Welver“ auf. Inzwischen liegen jedoch weitere Marken vor, u.a. auch 5-Pfennig-Stücke, sowie jeweils Ausführung in Neusilber.

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Foto: Bernd Thier

WMF-Nr. 10247

VS: WERT-MARKE | 5 | BORGELERLINDE (eingeschlagen) (im Perlkreis)
RS:
5 (im Perlkreis)
rund / Messing / ø 17,9 mm / Stärke 1,09 mm / Wendeprägung

WMF-Nr. 10248

VS: WERT-MARKE | 5 | BORGELERLINDE (eingeschlagen) (im Perlkreis)
RS:
5 (im Perlkreis)
rund / Neusilber / ø 17,9 mm / Stärke 1,01 mm / Wendeprägung

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Foto: Bernd Thier

WMF-Nr. 10249 (= Menzel Nr. 4174.1)

VS: WERT-MARKE | 10 | BORGELERLINDE (eingeschlagen) (im Perlkreis)
RS:
10 (im Perlkreis)
rund / Messing / ø 19,0 mm / Stärke 1,01 mm /  Wendeprägung

WMF-Nr. 10250

VS: WERT-MARKE | 10 | BORGELERLINDE (eingeschlagen) (im Perlkreis)
RS:
10 (im Perlkreis)
rund / Neusilber/ ø 19,0 mm / Stärke 1,04 mm / Wendeprägung

Markentypen: Wertmarken

Hersteller: unbekannt
Datierung: ca. 1905-1915
Sammlung: T / Meldung: Bernd Thier

Laut Auskunft des damaligen Verkäufers stammen die Stücke aus dem Nachlass eines Münzsammlers aus dem Raum Soest, was durch ebenfalls angebotene Marken aus der Stadt Soest wahrscheinlich klang. Das Material Neusilber ist relativ selten für Wertmarken verwendet worden, die stummen Marken, die für Einpunzungen vorgesehen waren, wurden zumeist aus Messing, manchmal auch aus Kupfer (eher vor 1900) oder Eisen bzw. Zink (eher nach 1916) hergestellt. Dies deutet auf eine mögliche Herstellung in der Zeit zwischen ca. 1905 und 1915 hin. Es dürfte sich um innerbetriebliche Wertmarken zu Abrechnung oder Zahlung handeln. Die Werte  5 bzw. 10 Pfennig deuten auf Getränkemarken, u.a. für Bier hin.

Der damaligen Sammlung angeblich beiliegende Beschriftungszettelchen weisen folgende drei Marken mit dem Einschlag FS ebenfalls der Gaststätte Borgelerlinde zu, es sollte sich um „Marken des Vorbesitzers“ handeln, weitere Angaben lagen jedoch hierzu nicht vor:

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Foto: Bernd Thier

WMF-Nr. 10251

VS: WERTH-MARKE | 10 | F. S. (eingeschlagen auf Punktlinie) (im Perlkreis im Stabrand)
RS:
10 (im Perlkreis im Stabrand)
rund / Messing / ø 18,3 mm / Stärke 0,89 mm / Wendeprägung
WMF-Nr. 10252

VS: WERTH-MARKE | 25 | F S (eingeschlagen) (im Perlkreis im Stabrand)
RS:
25 (im Perlkreis im Stabrand)
rund / Zink, vernickelt / ø 23,6 mm / Stärke 1,09 mm / Wendeprägung
WMF-Nr. 10253

VS: WERTH-MARKE | 100 | F S (eingeschlagen) (im Perlkreis im Stabrand)
RS:
100 (im Perlkreis im Stabrand)
rund / Kupfer / ø 28,6 mm / Stärke 1,15 mm /  Wendeprägung

Markentypen: Kleingeldersatzmarken

Hersteller: unbekannt
Datierung: ca. 1915-1919
Sammlung: T / Meldung: Bernd Thier

Auffällig ist, dass die Marken die altertümliche Schreibweise WERTH-MARKE tragen, anders als jene mit dem Einschlag BORGELERLINDE, bei denen der Text WERT-MARKE lautet. Dies wäre ein Hinweis auf eine frühere Datierung in die Jahre vor 1900, bedingt durch die bekannte Rechtschreibreform, in der das H „abgeschafft wurde“.

Der nun erschienene Artikel des Arbeitskreises Geschichte und Heimatpflege Borgeln liefert den Hinweise, das als Betreiber der Gaststätte Borgelerlinde (auch Borgelner Linde oder Zur Borgerlerlinde) Fritz Steinhoff tätig war. Die Webseite der Bäckerei Steinhoff in Borgelen liefert weitere interessante Details:

„Die ganze Geschichte um unser Landbrot brachte der Borgeler Pastor ins Rollen. Er traute an einem Januartag des Jahres 1868 den Bauernsohn Christoph Steinhoff vom Steinhof neben der Kirche und die Gastwirtstochter Wilhelmine Kappelhoff von der Borgeler Linde. Mit dieser Einheirat in den Gasthof hielt zugleich der Name Steinhoff Einzug in das alte Fachwerkhaus, das alle als Borgeler Linde kennen. Ein Jahr danach kam der erste Sohn der Eheleute zur Welt. Sie nannten ihn Viktor Friedrich Heinrich Dietrich Gerhard – oder einfach Fritz.

Als Fritz Steinhoff ein Vierteljahrhundert später wieder auf sich aufmerksam machte, war er Bäckermeister, der in Soest Berufserfahrung gesammelt hatte. Eines Tages holte er sich einige Säcke Mehl von der Borgeler Mühle und eröffnete auf dem väterlichen Grundstück an der Linde seine eigene Bäckerei. Wir wissen nicht genau, wann das erste Landbrot den Ofen verließ. Als 1951 die Goldene Hochzeit von Fritz und Wilhelmine gefeiert wurde, erwähnte ein Zeitungsbericht darüber 1894 als Jahr der Firmengründung. Eine amtliche Bestätigung gibt es aus dieser Zeit nicht – man brauchte ein Gewerbe ja noch nicht anzumelden.

Fritz Steinhoff war über vierzig Jahre lang Chef der Bäckerei, der Gast- und Landwirtschaft, unterstützt von seiner Frau Wilhelmine, einer großen Familie und vielen Mitarbeitern. „De aolle Steinhoff“ nannten ihn die Borgeler. Als er im Juni 1951 starb, ging der Betrieb in die Hände seines ältesten Sohnes Albert über, der 1942 mit seiner Frau Wilhelmine, geborene Maas, eine Familie gegründet hatte. Als Albert Steinhoff 1972 den Betrieb an Tochter und Schwiegersohn übergab, war die Gastwirtschaft bereits verpachtet. 1980 wurde sie geschlossen.“

Hinter den Einpunzungen F S auf der WERTH-MARKEN dürfte sich daher relativ sicherlich Fritz Steinhoff verbergen. Ob die Marken nun in der Gaststätte Borgelerlinde oder auch in der Bäckerei verwendet wurden, lässts sich so nicht eindeutig klären.

Sie könnten in der Zeit zwischen 1894 und 1951 hergestellt worden sein, aufgrund der Werte eher jedoch zwischen 1894 und etwa 1920. Die Werte 10, 25 und 100 Pfennig sprächen jedoch am ehesten für eine Verwendung in den Jahren des „klassischen“  Kleingeldmangels im Ersten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen 1916 und 1919. Demnach wären die Marken, trotz der altertümlichen Schreibweise, eventuell jünger, als die mit dem Einschlag BORGELERLINDE. Dass in dieser Zeit bekanntlich vor allem Getreide rationiert war und Bäckereien die „belagerten“ Hauptumschlagplätze für das wichtigste Grundnahrungsmittel waren, könnte Fritz Steinhoff zu dem Schritt bewegt haben, eigene – eigentlich illegale – Kleingeldersatzmarken (und damit eigentlich Privatnotgeldmünzen), die nur in der Gaststätte und vor allem in der Bäckerei gültig waren, herstellen zu lassen.

Nur so war der „kleine Warenverkehr“ mit der Auszahlung von Wechselgeld gegen das „allmächtige“ Papiergeld möglich. Viele ähnliche Fälle sind bekannt. Möglicherweise hatte Steinhoff eine Bezugsquellen für alte Restbestände mit der inzwischen überholten Schreibweise WERTH-MARKE. Bei den Punzungen fällt auf, das bei den 10 Pfennig-Stücken F. S., bei den 25 und 100 Pfennig-Stücken aber ein anderer Punzensatz und keine Punkte (F S) verwendet wurden. Dies könnte ein Hinweise auf zwei – zeitlich nachfolgende – Bestellungen bei eventuell auch unterschiedlichen Herstellen sein. Vielleicht wurden zunächst nur die 10 Pfennigstücke bestellt (1916/1917), später auch die größeren Werte zu 25 und 100 Pfennig (1917/1918), was sich mit den allgemeinen Entwicklungen im Bereich des Notgeldes vergleichen ließe. Die Marken mit dem Einschlag Borgerlerlinde könnten ebenfalls in dieser Zeit eventuell auch als Notgeld verwendet worden sein. Ohne weitere Quellen muß all dies jedoch Spekulation bleiben.

Achtung: Hier eingefügte Links können nicht ständig überprüft werden, daher keine dauerhafte Garantie für deren Gültigkeit!


21. April 2017

Schlagworte:

Ein Kommentar zu “Borgeln: Wertmarken der Borgelerlinde und Kleingeldersatzmarken von der Bäckerei Fritz Steinhoff”

  1. Hallo Herr Thier!
    Ihren Artikel mit Ihrer eingehenden und gedankenreichen Analyse habe ich mit großem Interesse gelesen. Vielen Dank! Auch wenn für den Moment vieles offen bleiben muss, ist es doch wichtig zu wissen, welche Fragen die richtigen sind und in welche Richtungen gedacht werden sollte. Dank Ihres aufschlussreichen Beitrages wissen wir jetzt viel mehr darüber, „was wir hier haben“. – Wir werden Sie auf dem Laufenden halten!

    Viele Grüße aus Borgeln,

    Björn Christlieb

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